Montag, 24. November 2014

Mandalay - Taunggyi - Mandalay

Mandalay liegt in der Tiefebene, während sich der Ort unseres Workshops auf 1000 Meter Höhe "in den Bergen" befand. Dort war das Klima sehr angenehm, in Mandalay ist es heiß, die Stadt ist lärmig, hektisch und laut. Sehr laut. Ich habe das Gefühl bekommen, sie will, dass man sich durch sie hindurch kämpft.
von Termin zu Termin düsen
Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel in dieser Millionenstadt. Man bewegt sich auf Motorradtaxis fort, entweder, indem man sich an den Straßenrand stellt und wartet, bis man von einem Motorradfahrer angesprochen wird und den Preis verhandeln kann. Oder aber, man kennt eine Telefonnummer, und in 10 Minuten ist auch schon jemand da. In der Regel kostet eine Fahrt 1500 Kyat, das sind ein Euro 30 oder so.
Am Montag düste ich mit so einem Fahrer durch die Stadt, von Termin zu Termin. Ich wollte NGOs kennen lernen, insbesondere solche, die im Bildungsbereich arbeiten, weil dies derzeit ein übergreifendes Thema in Myanmar ist, und auch, weil die Studierenden in Yangon Proteste gegen das geplante "Education law" angekündigt und durchgeführt haben.
Die Bibliothek
So habe ich die Knowledge Promoting Society kennen gelernt, gegründet von einem sozialwissenschaftlichen Lesezirkel, die eine ganz nette Bibliothek aufgebaut haben, und die selber Demokratietrainings zu ähnlichen Themen organisieren, wie wir das getan haben. Und der Reading Club des Youth Windows, dort nehmen viele Studierende teil, die ihre Meinungen noch sehr vorsichtig äußern.
Engagierte junge Menschen, die gerne etwas in ihrem Land verändern würden, und auch dort bleiben. Deren Wissenshunger und Neugierde so groß sind, dass sie alles Lesbare aufsaugen, dessen sie habhaft werden können.
Dann fuhr ich noch zum Local Ressource Center, das die NGOs miteinander verknüpft, und mit dessen Leiterin man stundenlang diskutieren kann. Und ich traf einen ehemaligen politischen Gefangenen, der am 1988-Uprising teilgenommen hat, dann acht (!) Jahre im Gefängnis saß und nach seiner Freilassung noch jahrelang Berufsverbot hatte. Wir sahen uns in dem Teehaus, in dem er in dieser Zeit "sein Büro" hatte, wie er leicht ironisch sagte. Mittlerweile unterrichtet er wieder an der Universität Geografie, und ist auch politisch aktiv. Wir sprachen unter anderem über die Situation an den Universitäten und auch über die Diskriminierung der ethnischen Minderheiten. Während unseres Gesprächs fiel mir auf, wie seine Augen die ganze Zeit die Umgebung absuchten. "Gibt es eigentlich wirklich Spitzel und Überwachung?", fragte ich ihn ganz direkt. Er erwiderte: "Here are government informers everywhere."

Am Land in Taunggyi

Nach den vielen Terminen in der feucht-heißen Stadt hatte ich das Bedürfnis, ein wenig heraus zu fahren. In Taungyyi, der Hauptstadt des Shan-Staates,  wollte ich meine beiden freien Tage verbringen, und mir ein touristisches Programm organisieren. Also, Nachtbustickets mit Hilfe von Thawng Thawng organisiert, und los ging das Abenteuer. Ach ja, und ich hatte meine neuen Bekannten dort kurz informiert, dass ich vorbei komme, und gefragt, ob sie mal Zeit "auf einen Tee" hätten.
Morgens um halb 5 Uhr, als mein Bus die Serpentinen auf 1500 Meter hochgekeucht war, warteten am Busbahnhof fünf Menschen auf mich, in Winterkleidung, denn es war frisch. Sie umarmten mich, und sagten nur: "Come, ... come ....!"
Am Inle Lake
Früchte am Straßenrand
Das ganze Besuchsprogramm zu erzählen, das sie in kürzester Zeit organisiert hatten, würde den Rahmen dieses Blogs sprengen. Doch während der Zeit in Taunggyi konnte ich meinen und Thawng Thawngs Abendspaziergang in der Umgebung unseres Hotels in Mandalay nicht vergessen. Hinter unserem Hotel befand sich nämlich eine Art Slum, viele kleine Verkaufsstände, hinter denen ein Verschlag oder ein Zelt aufgebaut worden war, in dem auf wenigen Quadratmetern die Familien lebten. Ohne direkten Wasseranschluss, nur mit einer Feuerstelle. Im Zentrum dieses Viertels befand sich zudem eine der über 1000 goldenen Pagoden, was völlig absurd wirkte, zumal man mir berichtet hat, dass die Ärmsten der Armen dafür Geld spenden würden. Damit sie an diesem Platz wieder geboren werden würden.
Taunggyi hingegen ist eine ländliche Gegend, die Lebensverhältnisse sind einfach, aber  alles wirkt stabil. Die Felder werden bestellt, Mangos wachsen dort, Bananen, Getreide - am Straßenrand kann man die frischen Produkte kaufen, derzeit gibt es Mandarinen, und wenn man im autonomen Gebiet der Pa-O ist, zumeist aus organischem Anbau.
Während der Fahrten, wieder im offenen Pritschenwagen, wurde mir erzählt, dass es gerade in dieser Gegend Spannungen zwischen den militärischen Gruppierungen der Pa-O und der im Staat dominierenden Shan gebe. Ich kann nur hoffen, dass die Kontakte aus unserem Workshop benutzt werden, um die Situation zu beruhigen. Schließlich war einer der Teilnehmer der Generalsekretär der White Tigers, der einflußreichsten Shan-Partei. Hoffentlich erreicht mich bald die Nachricht, dass wieder alles in Ordnung kommt. Aber dieses Beispiel zeigt wiederum, dass die Strategie der Militärregierung, die Ethnien gegeneinander auszuspielen, um die zentrale Macht zu erhalten, weiterhin greift. Dagegen hilft nur gemeinsam zu kämpfen und, neben der liberalen NLD, einen dritten ethnischen, politischen Block in Myanmar aufzubauen.  We will see....Denn, wie steht es auf einem unserer Workshop-Plakate: "Without ethnic voice there will be no (real) democracy in Myanmar!"




Sonntag, 16. November 2014

Ausflug vom Peik Chin Myaung über Taw Gyaint in den Botanischen Garten

Samstag. Mein freier Tag.Feiertag in dieser Gegend. Während Manuel seine Erkältung auskurierte, bin ich in der Früh aufgestanden, und einer Einladung von einigen TeilnehmerInnen gefolgt, mit ihnen an einem touristischen Ausflug in die Umgebung teilzunehmen.
Als ich pünktlich um 8 Uhr am Baptisten-Konvent ankam, stand auch schon unser Gefährt bereit: ein Pritschenwagen. Zu acht setzten wir uns auf die Ladefläche, zwei weitere quetschten sich zum Fahrer, den sie mitsamt des Klein-LKWs angeheuert haben, in die Fahrerkabine - und schon ging die Fahrt los.
und schon ging die Fahrt los...
Wie soll ich das Gefühl auf der Ladefläche beschreiben? Habe mich doch auch frei gefühlt, wenn mir der Fahrtwind, aber zugleich auch alle Abgase, der Staub, der überall aufgewirbelt wird und die Gerüche der Gegend, die man gerade durchstreift, um die Ohren und um die Nase wehten.
Nach etwa einer Stunde erreichten wir unser erstes Ziel, Peik Chin Myaung, eine heilige Tropfsteinhöhle, in der sicherlich um die fünfhundert Buddhastatuen herum stehen, von klein und Miniatur bis überlebensgroß. Es handelt sich dabei um eine Art buddhistisches Lourdes, doch wurde es erst in den 1990er Jahren ausgebaut. Und statt einer Madonna stehen viele nette Buddhas herum, lächeln und schauen sehr zufrieden aus. "A peaceful place". Dort, wo der Fluss aus der Höhle fließt, kann man ins Wasser steigen, es heißt, so wie auch in Lourdes, dass dies heiliges Wasser sei, das reinigt und heilt.
Gut. Man kann aber auch Wasserschlachten unternehmen und sich ordentlich die Kleidung durchnässen.
man kann aber auch....
In dem Fall hatte man Spaß und wurde gleichzeitig gereinigt und geheilt, es entsteht mithin eine Art Pareto Optimum. Solchermaßen gestärkt trippelte ich dann, vorsichtig darauf achtend, nicht auszurutschen, durch die engen Weg bis zum Endpunkt der Höhle, wo nach der beeindruckenden goldenen Höhlenpagode - was Wunder - in einem Erker sich eine Buddhastatue befand. Unterwegs lachten mich Hunderte Gesichter an, und zwar nicht Buddhas, sondern Ausflügler aus der Region, es war ja Feiertag und daher herrschte reges Treiben in der tropfenden Höhle. Schließlich begannen die ersten mich zu fragen, ob ich mit ihnen auf ein Foto gehen würde. Also, ob sie ein Foto mit mir zusammen haben könnten.Das freudige Nicken meiner Begleiter deutete darauf hin, dass ich wohl besser Ja sagen sollte. Was ich bis dahin nicht bemerkt hatte, war, dass ich wohl zu dieser Zeit als der einzige "foreigner" durch die Höhle glitt, und daher, sogar etwas durchnässt, neben den Buddhas eine zusätzliche Attraktion war, zumal an einem heiligen Ort. Wie viele Fotos mögen es gewesen sein? 30? 40? So in etwa.
Die Höhlenpagode
Wer Englisch konnte, begann dann noch ein kleines Gespräch mit mir. "Where are you from?" "Are you happy?" Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Bemerkung einer Gruppe junger Männer: "We work for the government" (was meinen BegleiterInnen sichtlich nicht gefiel), die dann auf Nachfrage antworteten: "We teach in primary schools." (nach dieser Präzisierung mussten wir alle ein wenig schmunzeln und die erste Antwort war schon nicht mehr so schlimm).
Um ganz zu trocknen, bevor es in wilder Fahrt zur nächsten Station weiter ging, bummelte ich über den Markt, der sich übrigens ganz ähnlich an allen Sehenswürdigkeiten wiederholte. In einer Reihe stehen kleine Büdchen, in denen es alles Mögliche zu kaufen gibt. Essen natürlich, Kleidung, aber auch diese komischen roten Nüsse, die man in grüne Blätter gewickelt kaufen und danach kauen kann. Sie sollen 
schöne Gefühle bewirken. Vielleicht. Sichtbar sind nur die roten Zähne der Kauenden, zumeist Männer, und viele rote Flecken auf dem Gehsteig, da diese rote Nuss einen erhöhten Speichelfluss bewirkt.
Ich erstand ein Shan-Hemd, das von allen als "passend" bewertet wurde, und das mit 3500 Kyatt auch nicht wirklich teuer war (es sind 3,5 Dollar). Kinderarbeit in Myanmar ist übrigens weit verbreitet, was ein Riesenproblem ist, das aber auf Nachfrage viele als solches nicht mal erkennen können oder wollen.  
Wieder Schuhe ausziehen, bevor man sich auf der Pritsche niederlässt, und weiter ging es zum Taw Gyaint Wasserfall.
Hier braust das Wasser wild die Felsen hinunter, und gibt eine majestätische Kulisse für viele Fotos ab. Daher wird vor Ort auch eine extra Fotogebühr eingehoben, ähnlich wie in der Höhle, wo ich hätte 500 Kyatt bezahlen müssen, wenn das nicht die Einheimischen übernommen hätten, mit denen ich unterwegs war.

Fotos. Und wieder Fotos machen und sich zur Verfügung stellen. Nach einer Mittagspause in einem Restaurant mit halbwarmen Speisen fuhren wir in den Landmark Garden. Dort wurden in einem weitläufigen Gelände die Sehenswürdigkeiten aus jedem Staat Myanmars in Miniatur nachgebaut und sind zu besichtigen. Und es wurden neue Fotos erstellt.Auch von mir:
Der Namenszug von Pynolu, wie es in etwa ausgesprochen wird, aus Blumen erstellt

Überraschung! Unsere Landlady picknickt im Landmark Garden
Eine majestätische Kulisse für Fotos
Ein wunderbar stimmungsvoller Tag. Wer Lust hat, das ein wenig nachzuempfinden, hier ist ein Video aus unserem Pritschenwagen.

Samstag, 15. November 2014

Unser Statement zur Situation ethnischer Minderheiten in Myanmar

Dann wurde es im Workshop noch einmal spannend. Am Freitag stand die praktische Umsetzung unserer vielen Diskussionen, Gespräche, Übungen und Vorträge auf dem Programm: Ein gemeinsames Statement aller Anwesenden, sowie ein Vorschlag, adressiert an die Rosa-Luxemburg-Stiftung, für ein weiteres Zusammentreffen und die Bitte, weiterhin parteiübergreifend zu unterstützen, sollten ausgearbeitet werden.
Eine Vorbereitungsgruppe arbeitet
Auch am Ende der 5 Tage war ich noch aufgeregt, ob sozusagen auf den letzten Metern noch ein Problem auftauchen könnte, das ich die Tage übersehen hätte. Mit Roi Nu an meiner Seite flitzte ich zwischen den beiden Vorbereitungsgruppen hin und her, die sich auf dem Gelände der Karen Baptisten-Gemeinde verteilt hatten, um in Ruhe diskutieren zu können. Ich wollte zuhören, wie die Diskussionen verlaufen und, falls nötig, eingreifen. Doch war meine Sorge völlig übertrieben, denn die Gruppen arbeiteten zielstrebig, konzentriert und gelassen. Übrigens hatte sich die sehr interessierte und gebildete Frau des Pfarrers mittlerweile zu uns gesellt, am Anfang wollte sie nur zuhören. Und dann vernahm ich sie plötzlich auch reden. Später hat sie mir gestanden, dass sie, sicher um die 70 Jahre alt, zuvor noch nie an einem politischen Treffen teilgenommen hat, aber das Thema und die reizenden Menschen hätten sie diesmal doch dazu motiviert.

Die Idee zu einem solchen Text kam folgendermaßen zustande: Nachdem wir die UNO-Menschenrechtserklärung vom Dezember 1948 auf Birmesisch Absatz für Absatz gelesen und besprochen hatten, die weiterhin der Standardtext ist, wenn man sich auf Menschenrechte bezieht, bat ich die Teilnehmenden, ihre Lebenssituation und die ihrer jeweiligen ethnischen Gruppen in Myanmar daraufhin zu überprüfen, inwieweit die Menschenrechte hier eingehalten werden. Allein die sechs anwesenden Parteien könnten, vorsichtig geschätzt. 11,5 Millionen Menschen repräsentieren, bei einer Staatsbevölkerung von etwa 53 Millionen. Noch weitere 20 Parteien haben sich bisher als Parteien der ethnischen Minderheiten registriert, und sie könnten zusammen genommen durchaus ein neuer Machtfaktor im politischen Leben Myanmars werden.

9 Forderungen gegen die systematische Unterdrückung ethnischer Minderheiten in Myanmar


Das Ergebnis der Gruppenarbeiten zur Menschenrechtssituation war allerdings bedrückend. Es ist eine systematische Diskriminierung der nicht-dominierenden Ethnien festzustellen, sie beginnt bereits damit, dass diese Gruppen als Ausländer angesehen und behandelt werden, was Probleme bei der Registrierung als Staatsbürger und als WählerInnen nach sich zieht - und es reicht bis dahin, dass der Opiumanbau bewusst in Gegenden angestrengt wird, wo sie sie sich ansiedeln. Geringere Bildungs- und Jobchancen, wenn man sich zu seiner Ethnie bekennt, sind allen Anwesenden ebenso bekannt.
Das Dokument mit Unterschriften
Von daher fordern die sechs Parteien in ihrem Statement auch sehr konkret, dass diese Diskriminierung beendet gehört: Ihre Forderungen lesen sich in einer vorläufigen Übersetzung ins Englische wie folgt:

"1.) In order to vote all ethnic minority voters over 18 should be treated equally and should get Identity- Card.
2)  All ethnic minorities should get land titleship and licenced form [Die Forderung richtet sich gegen das weit verbreitete Land-Grabing in Myanmar]
3) Freedom to express culture and cultural norms
4) Self-determination of ethnic groups
5) Equality rights for indigeneous people
6) Self-administration of natural ressources
Alle Anwesenden unterschreiben
7) Promote and empower education on different angles
8) Immediate action on drug-problem
9) To apply and practise proteced law for all ethnic minorities."

Außerdem wurde der Vorschlag für einen Kongress aller ethnischer Minderheitenparteien im März 2015 ausgearbeitet, der im Shan-State stattfinden soll. Für diesen wurden unter anderem das Thema Bildung und die "heiße" Drogenproblematik als Themen vorgeschlagen. Die Anwesenden werden bis dahin Kontakte zu den anderen Parteien nutzen beziehungsweise suchen, so dass dieser Kongress eine politische Außenwirkung haben könnte. Jedenfalls haben wir auch darüber diskutiert, dass Medien eingeladen werden sollen.
"Relief" - und die Frau des Pfarrers mittendrin
Schließlich waren wir alle erleichtert. In jeder Ecke des Gebäudes wurde gelacht, gescherzt und sicherlich um die tausend Fotos gemacht, in immer neuen Kombinationen. Da die Rosa-Luxemburg-Stiftung vor Ort ein Kontaktbuch erstellt hat, fiel das sonst obligatorische Adressenaustauschen aus, und man konnte nach Herzenslust feiern.
Doch gab es inmitten dieses großen Tohuwabohus auch einen stillen Moment, der mich berührt hat. Als ich meinen Rucksack zusammen packen, und meine Workshopdokumentation zusammen suchen wollte, fand ich drei Personen, am Boden kniend, die alle Präsentationen auf Papier sorgfältig, ja fast andächtig, zusammen rollten. Dann standen sie auf, lachten mich an, überreichten mir die Rollen, und sagten einfach: "Danke!"
ein stiller Moment



Mittwoch, 12. November 2014

Aus dem Leben einer Zitrone

Der Tag heute begann für mich wie immer um 5 Uhr morgens, weil die buddhistischen Mönche im nahe gelegenen Kloster wie jeden Morgen angefangen haben, ihre Mantras zu singen. Also, das Leben neben einer Kirche ist ja nichts dagegen. Dies bisschen Gebimmel zur Messe gegen ich weiß nicht wie viele Männerstimmen, die so monoton vor sich hin brummen, tagein - tagaus.
Glücklicherweise schlief ich nochmals ein, das geht, wenn man das Gebrumm in seinen Traum mit einbaut, und sich beim Aufstehen am besten nicht mehr daran erinnert, was man geträumt hat. Um 6.30 Uhr dann aufstehen, den Workshop für heute vorbereiten, einen Kaffee von unten holen, wo wiederum 5 Kellner herum laufen, und immer noch ganz verdutzt sind, wenn ich einfach nur eine Banane esse, dann meinen Kaffee nehme und mich in den Hotelpark setze, um ihn dort zu trinken.
Heute stand auf dem Programm, zu den politischen Themen, die bisher angesprochen worden sind, in Gruppenarbeiten gemeinsame Papiere zu erstellen. Wohlgemerkt, wir reden immer noch von sechs Parteien und mittlerweile rund 30 TeilnehmerInnen. Nun muss ich aber nichts mehr groß erklären, alle schnappen sich das Thema, das sie am meisten interessiert, dann die großen Flipchartpapiere, und beginnen hochkonzentriert zu arbeiten.

In der Zwischenzeit bemalte ich, für meine lecture von heute Nachmittag selber Präsentationspapiere. Thema: "Föderalismus in Deutschland und Österreich im Vergleich!" Die Teilnehmenden  lieben zwar das gemeinsame Arbeiten, doch sind sie der Meinung, dass ich, wenn ich schon mal da bin, auch so viel wie möglich von meinem Wissen da lassen sollte. Also gut. Gerne bin ich eine Zitrone, die man nach Herzenslust ausquetschen kann. Bisher habe ich am Montag über Demokratie gesprochen, dann gestern über demokratische Parteienentwicklung und das Bilden von Allianzen, und heute dieses Thema, das wichtig ist, weil nach einer geeigneten, demokratischen Staatsorganisation gesucht wird, nämlich nach einer, durch die die Ethnien nicht systematisch diskriminiert und sprachlos gemacht werden können. Vielleicht ist ja eine föderalistische besser als ein Proporzsystem für Ethnien?

Die brennenden politischen Themen in Myanmar


Und weil die Zitrone ausgequetscht werden soll, werden sehr zügig die brennenden politischen Themen abgearbeitet, die Pausenzeiten werden nur verkürzt eingehalten, und dann soll auch schon präsentiert werden. "Machen wir weiter?", werde ich gefragt. Erstes Thema ist Land-Grabbing, hier geht es darum, dass alleine das Militär viele Acker Land genommen, oder etwa eine Taiwanesische Firma 18.000 Acker Land zum Bau einer Gaspipeline sich angeeignet hatte. Nun kann man dies theoretisch zurückfordern. Der Haken bei der Sache ist nur, dass man dafür einen rechtlichen Titel auf das Land vorweisen muss, also ein Stück beschriebenes Papier, das viele nicht besitzen. Gemeinsam wurde besprochen, wie man darauf reagieren kann, zum Beispiel, indem man mithilfe von wohlgesonnenen Abgeordneten solche Papiere produziert.
Die Bildungsgruppe
Dann wurde Bildung angesprochen, hier wird betont, wie wichtig eine gute Bildung und Ausbildung für das Land ist, besonders in ländlichen Regionen. Auch das Verkehrs- und Kommunikationswesen ist schlecht entwickelt, was wiederum die ländlichen Regionen stark benachteiligt. Die Zeit etwa, die ich gebraucht habe, um mit dem Flugzeug von Wien nach Mandalay zu fliegen, haben andere in anderen, abenteuerlichen Transportmitteln verbracht, um im Land nach Pyin Oo Lwin zu gelangen. Das ist, so sagen sie mit Recht, auch ein Problem für eine funktionierende Demokratie.

Dann Mittagspause
Dann Mittagspause. Ich bin nicht sicher, inwieweit die Fotos zeigen können, mit wie viel Humor das alles vonstatten geht. Leider kann ich immer nur mit Verzögerung mitlachen, bis Roi Nu den Witz übersetzt hat, doch warten alle immer ab, bis ich mich auch ausgelacht habe.Und noch etwas finde ich bemerkenswert, dass nämlich nur Konsenspapiere präsentiert werden, obwohl ich die Teilnehmenden mehrmals auch zur Diskussion und zum Dissens aufgefordert habe.

Im Bereich Landwirtschaft wurde über verschiedene Methoden diskutiert, mit denen man biologisch anbauen kann, und wo die Schwierigkeiten des Vertriebs und Marketings liegen. Hier besteht ein großer Wunsch nach Veränderung, denn viele Bauern sind verarmt und können ihre Produkte nur in ihrer Region verkaufen.
Die Ökonomie in Myanmar ist stark vom Drogenanbau abhängig, das wurde bereits bei der Präsentation der Zukunftsvision besprochen. Nur eine Zahl dazu: 400.000 Acker Land an der Grenze des Shan-Staates werden für Opiumanbau verwendet. Ich bin bei dieser Problematik kein Experte, doch wenn es stimmt, dass pro Acker nur 4 Kilo zusammen kommen, so werden dort immerhin 1,6 Millionen.Kilo "popies" produziert Die große Frage ist, welche Alternativen man den Bauern anbieten kann.
Zuhören, Übersetzen, Kommentieren
Für mich ist natürlich vieles neu von dem, was ich höre. Und ich bin absolut darauf angewiesen, dass Roi Nu mir alles genau übersetzt. Sie tut dies mit einer solchen Geduld, und sie scheint dabei niemals müde zu werden. "It's just my work", argumentiert sie, wenn ich mich wundere, dass auch sie keine Pause braucht.
Ok, aber vor meiner Lecture zu Föderalismus wird eine richtige Pause gemacht. Denn zu jedem Thema entbrannte eine lebendige Diskussion, wird sind etwas hinter dem Zeitplan. Aber was soll's, wir sind ja in Myanmar, und dort ist man gerne kreativ.
Nach 2,5 Stunden bin ich mit meinem Vortrag zu Föderalismus fertig. Besonders interessant war das österreichische Proporzsystem auf Länderebene, das ich erläutert habe. Nunmehr sind sich die Anwesenden völlig einig, dass ein ähnliches System,, das ihnen als Ethnien angeboten wurde, keine gute Lösung ist.
Lecture über Föderalismus

Nun ist mein heutiger Arbeitstag beendet. Nach einem Bierchen mit Manuel bin ich im Hotelzimmer angekommen und schreibe diesen Blogeintrag. Im Tagungsraum hat sich eine spontane Arbeitsgruppe gebildet, die noch en detail darüber sprechen will, warum die Bauern verarmen, und was man dagegen unternehmen kann. Sie haben noch Lust und Energie, aber die Zitrone ist nun leer für heute.
Im Hintergrund brummen die Mönche wieder ihre Mantras, und ich fühle mich irgendwie schon daheim hier. Und bin zwar ausgepresst im Moment, doch entspannt und zufrieden,

Montag, 10. November 2014

Der Workshop

Natürlich war ich heute morgen nervös. Sehr sogar. So sehr, dass ich beinahe verschlafen hätte, weil mich das berühmte Jetlag erwischt hat.
Glücklicherweise kam ich doch noch rechtzeitig im Baptisten Convent an, vom Hotel aus sind es 15 Minuten zu Fuß, entlang einer belebten und nur teilweise befestigten Provinzstraße. Und nach und nach trudelten auch die VertreterInnen von sechs (!) Parteien ein, allesamt ethnische Parteien aus dem Shan-State sowie einige aus dem Ort kommend, in dem ich derzeit lebe. Also namentlich die SNDP , die Shan National Democratic Party, die PNO, die Pao National Organisation sowie die Union Pao, die KNP das ist die Kayan National Party, die LNDP, die Lisu National Democratic Party und schließlich eine ganz neu gegründete Partei, die Danu, die darum kämpfen, überhaupt mal als eigene Ethnie anerkannt zu werden.
Neben der dominierenden Ethnie, den Bramaren, der sowohl das Militär als auch die Oppositionsführerin angehören, leben in Myanmar 42 Ethnien, die bisher kaum eine Bedeutung im parlamentarischen Leben haben, die allerdings zum Teil militärisch für ihre Rechte kämpften. Mit allen wurden seitens der Militärregierung separate Waffenstillstandsvereinbarungen abgeschlossen - im Norden des Kachin-States sprechen allerdings seit einiger Zeit wieder die Waffen. Meine Übersetzerin ist Kachin, und als sie mir auf dem Heimweg abends über die tatsächliche Situation ihrer Familie und Verwandten berichtet hat, standen mir fast die Tränen in den Augen. So leben sie mit Absicht in leeren Häusern, weil sie jederzeit bereit sein müssen, zu fliehen. Man kann sich also vorstellen, dass in diesem Workshop mit diesen Menschen einfache Lösungen mit den üblichen Politikerphrasen nicht funktionieren werden,
Eine gute Mischung jedenfalls hat sich versammelt.
Eine gute Mischung hat sich versammelt
Männer und Frauen, jung und alt, höhere Funktionäre wie etwa der Generalsekretär einer der Parteien, aber ebenso einfache Mitglieder und sogar zwei Aktivisten des 1988 Uprising gegen die Militärdiktatur, aber auch ein Finanzkontroller saßen jedenfalls beieinander, insgesamt 24 Personen. Erwartungsvoll.Und auch gespannt, was denn dieser Typ da vorne mit ihnen vorhat.
Nach dem gegenseitigen Vorstellen in Form von Partnerinterviews wurde offenbar, dass für praktisch alle Anwesenden Demokratie, für die es übrigens kein birmesisches Wort gibt, so dass ich während der Übersetzungen immer "democracy" heraushören kann, eine rätselhafte, und außerdem dubiose Sache ist, denn im Namen der Demokratie wird, so ist die allgemeine Erwartung ihre Unterdrückung als minoritäre Ethnien weiter geführt werden. 
Deshalb habe ich nach diesem ersten Bild mich kurzfristig entschlossen, in 40 Minuten so bildhaft wie möglich Demokratie als eine Regierungsform und gleichzeitig als ein Instrument vorzustellen, mit dem man durchaus wirkungsvoll gegen Unterdrückung und Ausschluss kämpfen kann. 

Das war dann die Vorbereitung dafür, dass alle Anwesenden am Nachmittag in 4 Gruppen gemeinsam eine Vision entwickeln, wie ein demokratisches Myanmar in 10 Jahren aussehen könnte.
Zusammen arbeiten
Und es kommt allen wie ein kleines Wunder vor, dass und wie diese Übung funktioniert hat. Gemeinsam wurde sehr konzentriert geredet, diskutiert, sich widersprochen - um am Ende eine gemeinsame Präsentation hinzukriegen. Eine wunderbar, lebendige Arbeitsatmosphäre kam quasi aus dem Nichts heraus, die wirklich etwas Besonderes darstellt. Stellen wir uns einmal vor, in Deutschland oder Österreich würden sich Mitglieder von sechs Parteien treffen, und zu so einem Thema arbeiten. Ich vermute, sie würden niemals auch nur einen gemeinsamen Satz zu Papier bringen.
Nachdem alle vier Gruppen ihre Ergebnisse präsentiert hatten, haben wir herausgearbeitet, welche Übereinstimmungen es in den vier Visionen eines demokratischen Myanmar gibt. Und, erstaunlicherweise, kamen dabei eine ganze Menge zusammen. So zum Beispiel auch heiße Themen wie der Anbau und Vertrieb harter Drogen, zumeist Heroin, der, so die gemeinsame Schätzung, wohl bis zu 70 Prozent des Bruttosozialproduktes ausmacht.
Ein demokratisches Myanmar - im Namen der
Demokratie weiter Unterdrückung?

Nun ist ein spannender Prozess ins Rollen gekommen, und ich bin selber neugierig, was am Ende herauskommen wird. Der erste Schritt für einen produktiven Workshop ist jedenfalls gemacht.

P.S.: Was mich menschlich wirklich fasziniert ist die Art und Weise, wie die Menschen, die sich vorher nicht gekannt haben, miteinander umgehen. Mir fällt auf, wie spontan ein Gemeinschaftsgefüge entsteht, in dem alle miteinander zusammen arbeiten, etwa wenn das Essen ausgegeben wird, oder wenn wir unser schmutziges Geschirr abwaschen. (Wobei ich dazu sagen muss, dass ich es bisher noch nicht geschafft habe, das zu tun, weil immer, wenn ich an der großen Spüle im Freien stand, kam jemand, und nahm mir meine Sachen aus der Hand.)

Sonntag, 9. November 2014

Von Mandalay nach Pyin Oo Lwin

Bereits der Flughafen von Mandalay kann als eine Allegorie für die Ambivalenzen des Staates angesehen werden. Der Komplex liegt keineswegs in der Nähe der ehemaligen Hauptstadt Myanmar, sondern in der MItte des Nichts, also sind es mit Fahrer eine Stunde Fahrt dorthin, mit abenteuerlichen Local Transports in offenen Klein-LKWs dauert es sicherlich länger.
Flughafen Mandalay .... danach
Er wurde groß angelegt, nur leider findet kein ebenso großer Flugverkehr statt - und den hat es auch niemals gegeben. Aus dem Ausland kommt zumindest täglich eine Maschine aus Bangkok, das ist eine der wenigen Auslandsverbindungen nach Mandalay, mit der auch Manuel und ich, er vom Büro der Rosa Luxemburg Stiftung in Hanoi kommend, am frühen Nachmittag gelandet sind.
Es erwarten einen zunächst die problemlosen Einreiseformalitäten, eine Gepäckkontrolle in einer Halle mit vielen Gepäckbändern, von denen sich nur zwei bewegen. Schließlich wird am Ausgang jedes Gepäckstück gescreent, und die Fluggäste strömen hinaus. Dann, nach dieser kurzen mittäglichen Hektik, verfällt der Flughafen auf einen Schlag wieder in den Schlafzustand, in dem er sich zuvor befunden hatte.
Mein Weg nach Myanmar - die neu angelegte, vierspurige "Road to Mandalay" - endete in einem Teehaus in der früheren Hauptstadt, wo Manuel und ich auf einen weiteren Mitarbeiter des Hanoier Büros warten mussten. In einem halboffenen Gebäude schwirrten sehr junge Männer umher, brachten die Karte, dann Tee oder Kaffee oder eine Speise, in der Küche dampfte es, und hinter der Küche standen gefüllte Fässer herum, was darinnen war, weiß nur Gott. "Menschen sind halt billiger als Strom", so der trockene
Teehaus in Mandalay
Kommentar von Manuel. Alles, wirklich alles, wird per Hand von schlecht bezahlten Arbeitskräften erledigt. Als wir dann am späten Abend weiter fuhren, wuschen sich die Jungen mit Wasser aus einigen der ominösen Fässer, vermutlich ist das eine extra Sozialleistung des Besitzers.Vielleicht, später dann, gab es dieses Extra auch für die Mädchen, die in Küche gestanden, oder die am Boden sitzend Maisschalen ausgewaschen haben.

Karen Baptist Church Convent in Pyin Oo Lwin

Die Workshops beginnen morgen in einem Gemeindesaal der Karen Baptisten Gemeinde. Die Karen sind eine der vielen Ethnien, die die Bevölkerung Myanmars ausmachen. Ihr gemeinsames Band ist die Religion. Der Saal selber ist auf einem weitläufigen, grünen Gelände gelegen, auf dem noch eine Großküche sich befindet ("Essen ist in Asien sehr wichtig", betont Manuel in diesem Zusammenhang), ein Trakt mit Schlafplätzen zumeist auf dem Boden der Zimmer und auf einem Hügel thront die rote Kirche. Dazwischen eine Art Park, sowie ein Garten und Obstbäume.Die Gemeinde ist stolz darauf, dass dies alles durch Missionsarbeit entstanden ist, und so verstehen sie das Missionieren auch als eine ihrer vordringlichsten Aufgaben.
Die Großküche der Baptistengemeinde
Und schnell verbreitete sich auf dem Gelände die Nachricht, dass zwei "Langnasen" da sind. Und schon hatten wir eine Einladung, auch am Gottesdienst teilzunehmen, der wir auch gefolgt sind. Manuel und ich, sowie Thawng Than, auf den wir in Mandalay gewartet hatten, und Roi Nu, die mich die nächsten Tage vom Englischen ins Birmesische übersetzen wird.
Nach langer Zeit ging ich also sonntags wieder mal in eine Kirche. Es war nämlich Erntedankfest. In der roten Kirche stapelten sich auf den Treppen zum Altar allerhand Früchte: Papayas, Erdbeeren, die gerade in der Region wachsen, Kürbis, Pampelmuse, Avocados, Bananen..., um nur einige der Gaben Gottes zu nennen.
Frauen und Männer tragen die Tracht der Karen, oder zumindest deren Farben, nämlich Rot und Weiß, wobei bei den Frauen eher Weiß dominiert, während bei den Männern Rot im Vordergrund steht.
In immer neuen Kombinationen der TeilnehmerInnen wird gesungen. Die Kirche ist so voll, dass der Gottesdienst nach Draußen übertragen wird, damit auch die Außenstehenden teilhaben können. Eine Pastorin in einem grünen Gewand (es waren 6 oder 7 Personen als Geistliche aktiv) erklärte etwa die Bedeutung des Festes anhand von drei Pflanzen aus ihrem Garten, einem Bäumchen, das blattlos wächst, einem Bäumchen mit grünen Blättern und endlich von einem Mandarinenbäumchen, das gerade Früchte trägt. Dazu singt der Kirchenchor diejenigen Lieder, die sie in ihrem Garten singt, wenn sie sich um die Pflanzen kümmert. Alles wird plastisch auf die Altarbühne gebracht, es ist klar und verständlich, auch wenn man über keine Übersetzung verfügen würde. Damit ich die Lieder auch mitsingen kann, wurde mir übrigens ein englisches Liederbuch gereicht.
"Das Essen ist wichtig in Asien"
Nach dem Kirchgang waren wir noch zum gemeinsamen Essen eingeladen, in dem Raum, in dem die Workshops starten werden. Ich weiß nicht, wie viele Hände ich geschüttelt habe davor und danach. Denn einer der Priester hatte die glorreiche Idee, Manuel und mich zu Beginn des Gottesdienstes zum Altar zu bitten, um uns vorzustellen. Da standen dann zwei sichtlich erstaunte deutsche Linke vor Baptisten in einer Provinzstadt in Myanmar, und versuchten klar zu machen, was sie dort eigentlich treiben. Nun ja, die Freude über unsere Anwesenheit überwog als Reaktion. Denn das, was wir dort tun wollen, ist momentan noch sehr weit weg von ihrer Lebensrealität. Ein weiterer besonderer Aspekt des Landes. Alles ist eigentlich politisch, aber jeder und jeder, mit der oder dem ich spreche, beteuert, mit Politik nichts zu tun haben zu wollen. Aber das ist, wie man so schön sagt, eine andere Geschichte.

Montag, 3. November 2014

Warum und wieso?

Im Sommer dieses Jahres wurde ich von der Rosa-Luxemburg Stiftung angefragt, ob ich es mir vorstellen könnte, in Myanmar/Burma Demokratie-Workshops anzubieten. Ich sagte zu, deshalb halte ich mich vom 7.11. bis 21.11. in der Gegend von Mandalay auf.

Der Hintergrund: Die bis heute regierende Militärdiktatur befindet sich seit 2010 "im Übergang". Dies ist ein immer noch fragiler Prozess, an dessen Ende ein - wie auch immer verfasstes - demokratisches Staatsgefüge stehen könnte. 20 Jahre lang war das Land praktisch isoliert, und nun wird Schritt für Schritt geöffnet. Nur in welche Richtung?

Generell gilt, dass Demokratie niemals von alleine kommt, sondern erkämpft und erstritten werden muss. Hier wie dort. Wenn wir in einer Demokratie leben, wenn wir sagen und schreiben können, was wir so denken, und wenn wir Macht- und Kräfteverhältnisse durch Wahlen und andere zivile Initiativen ändern können, dann ist keineswegs garantiert, dass das so bleibt. Hier wie dort. Denn: Es muss Macht abgegeben und neu verteilt werden. 

Das gilt natürlich besonders für autoritäre Herrschaftsformen, die im Falle Myanmars nach einem demokratischen Zwischenspiel auf das Ende der englischen Kolonialherrschaft folgten. Von der "sozialistischen Republik" zum "Staatsrat für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung (SLORC)", wie sich die Militärdiktatur 1988 bezeichnete, später dann "Staatsrat für Frieden und Entwicklung" (bis 2010). Zudem kämpften seit dem Ende der Kolonialzeit die verschiedenen - in der Kolonialzeit "konstruierten" - Ethnien um mehr Unabhängigkeit und regionale Autonomie. Oft militärisch und auch gegeneinander.
Aus dieser Gemengelage heraus bilden sich nunmehr neue Parteien, zumeist mit ethnischem Hintergrund, ideologisch nicht sehr festgelegt. Und sie sind neugierig. Daher kommt es zu einem Workshop, den ich mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gestalten werde, und zu vielen Kontakten.
In den folgenden Tagen werde ich, soweit es mir möglich ist, von meinen Erfahrungen, Eindrücken und Gesprächen berichten.

Da ich mich rund um Mandalay aufhalten werde, habe ich mich ein wenig umgehört, wer sich bislang noch so mit dieser Gegend beschäftigt hat. So habe ich mich bereits mit Wolfram Schaffar und Helmut Lukas getroffen, und die Lage im Land besprochen.

In der Literatur und Kunst taucht Mandalay bei Rudyard Kipling, dem Autor des Dschungelbuchs auf, und bei Brecht und Weill.
Und weil ich immer schon die Musik von Kurt Weill gemocht habe, freue ich mich sehr über diese Musikfundstücke: Der Song von Mandalay, hier in einer klassischen Version von Max Raabe und seinem Palastorchester und in einer modernen Version gespielt vom Willem Breuker Kollektief. Der Text zur Musik stammt von Bert Brecht.
(Max Raabe und das Palastorchester, Song of Mandalay (1928))

Dort heißt es unter anderem:
"Rascher, Johnny he! Rascher, Johnny he!
Stimmt ihn an, den Song von Mandelay.
Liebe, die ist doch an Zeit nicht gebunden,
Johnny, mach rasch, denn hier geht's um Sekunden,
Ewing nicht stehet der Mond über dir, Mandelay,
Ewing nicht stehet der Mond über dir."


Brecht spielt dabei ironisch auf das Gedicht "Mandalay" von Rudyard Kipling an, in dem dieser die romantische Liebe eines englischen Soldaten zu einer Burmesin erhöht. "Come you back, you British soldier; come you back to Mandalay!" ruft die Frau in dem Gedicht von Kipling. Bei Brecht steht in Mandalay "Mutter Goddams Puff", denn die Wirklichkeit war eine andere. Die Briten befanden sich in der Zeit, in der der Text von Kipling geschrieben wurde, im dritten englisch-burmesischen Krieg, sie töteten die "schönen Fremden", beuteten ihr Land aus, teilten und beherrschten es. Mandalay fungiert in Kiplings Gedicht als Spiegel exotistischer Fantasien, beeindruckt von der Schönheit und dem Reichtum eines Landes und der Menschen, die dort lebten, die man zugleich beraubte und in Abhängigkeit trieb. Heute ist Myanmar eines der ärmsten Länder der Welt, das Bruttoinlandseinkommen beträgt zirka 1400 Euro pro Jahr pro Kopf, nach dem Human Development Index steht Myanmar auf Platz 150 der Welt.

Übrigens stammt das berühmte Brechtzitat  "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" eigentlich aus dem Musical "Happy End", in dem der "Mandalay Song" den dritten Akt eröffnet.