Montag, 10. November 2014

Der Workshop

Natürlich war ich heute morgen nervös. Sehr sogar. So sehr, dass ich beinahe verschlafen hätte, weil mich das berühmte Jetlag erwischt hat.
Glücklicherweise kam ich doch noch rechtzeitig im Baptisten Convent an, vom Hotel aus sind es 15 Minuten zu Fuß, entlang einer belebten und nur teilweise befestigten Provinzstraße. Und nach und nach trudelten auch die VertreterInnen von sechs (!) Parteien ein, allesamt ethnische Parteien aus dem Shan-State sowie einige aus dem Ort kommend, in dem ich derzeit lebe. Also namentlich die SNDP , die Shan National Democratic Party, die PNO, die Pao National Organisation sowie die Union Pao, die KNP das ist die Kayan National Party, die LNDP, die Lisu National Democratic Party und schließlich eine ganz neu gegründete Partei, die Danu, die darum kämpfen, überhaupt mal als eigene Ethnie anerkannt zu werden.
Neben der dominierenden Ethnie, den Bramaren, der sowohl das Militär als auch die Oppositionsführerin angehören, leben in Myanmar 42 Ethnien, die bisher kaum eine Bedeutung im parlamentarischen Leben haben, die allerdings zum Teil militärisch für ihre Rechte kämpften. Mit allen wurden seitens der Militärregierung separate Waffenstillstandsvereinbarungen abgeschlossen - im Norden des Kachin-States sprechen allerdings seit einiger Zeit wieder die Waffen. Meine Übersetzerin ist Kachin, und als sie mir auf dem Heimweg abends über die tatsächliche Situation ihrer Familie und Verwandten berichtet hat, standen mir fast die Tränen in den Augen. So leben sie mit Absicht in leeren Häusern, weil sie jederzeit bereit sein müssen, zu fliehen. Man kann sich also vorstellen, dass in diesem Workshop mit diesen Menschen einfache Lösungen mit den üblichen Politikerphrasen nicht funktionieren werden,
Eine gute Mischung jedenfalls hat sich versammelt.
Eine gute Mischung hat sich versammelt
Männer und Frauen, jung und alt, höhere Funktionäre wie etwa der Generalsekretär einer der Parteien, aber ebenso einfache Mitglieder und sogar zwei Aktivisten des 1988 Uprising gegen die Militärdiktatur, aber auch ein Finanzkontroller saßen jedenfalls beieinander, insgesamt 24 Personen. Erwartungsvoll.Und auch gespannt, was denn dieser Typ da vorne mit ihnen vorhat.
Nach dem gegenseitigen Vorstellen in Form von Partnerinterviews wurde offenbar, dass für praktisch alle Anwesenden Demokratie, für die es übrigens kein birmesisches Wort gibt, so dass ich während der Übersetzungen immer "democracy" heraushören kann, eine rätselhafte, und außerdem dubiose Sache ist, denn im Namen der Demokratie wird, so ist die allgemeine Erwartung ihre Unterdrückung als minoritäre Ethnien weiter geführt werden. 
Deshalb habe ich nach diesem ersten Bild mich kurzfristig entschlossen, in 40 Minuten so bildhaft wie möglich Demokratie als eine Regierungsform und gleichzeitig als ein Instrument vorzustellen, mit dem man durchaus wirkungsvoll gegen Unterdrückung und Ausschluss kämpfen kann. 

Das war dann die Vorbereitung dafür, dass alle Anwesenden am Nachmittag in 4 Gruppen gemeinsam eine Vision entwickeln, wie ein demokratisches Myanmar in 10 Jahren aussehen könnte.
Zusammen arbeiten
Und es kommt allen wie ein kleines Wunder vor, dass und wie diese Übung funktioniert hat. Gemeinsam wurde sehr konzentriert geredet, diskutiert, sich widersprochen - um am Ende eine gemeinsame Präsentation hinzukriegen. Eine wunderbar, lebendige Arbeitsatmosphäre kam quasi aus dem Nichts heraus, die wirklich etwas Besonderes darstellt. Stellen wir uns einmal vor, in Deutschland oder Österreich würden sich Mitglieder von sechs Parteien treffen, und zu so einem Thema arbeiten. Ich vermute, sie würden niemals auch nur einen gemeinsamen Satz zu Papier bringen.
Nachdem alle vier Gruppen ihre Ergebnisse präsentiert hatten, haben wir herausgearbeitet, welche Übereinstimmungen es in den vier Visionen eines demokratischen Myanmar gibt. Und, erstaunlicherweise, kamen dabei eine ganze Menge zusammen. So zum Beispiel auch heiße Themen wie der Anbau und Vertrieb harter Drogen, zumeist Heroin, der, so die gemeinsame Schätzung, wohl bis zu 70 Prozent des Bruttosozialproduktes ausmacht.
Ein demokratisches Myanmar - im Namen der
Demokratie weiter Unterdrückung?

Nun ist ein spannender Prozess ins Rollen gekommen, und ich bin selber neugierig, was am Ende herauskommen wird. Der erste Schritt für einen produktiven Workshop ist jedenfalls gemacht.

P.S.: Was mich menschlich wirklich fasziniert ist die Art und Weise, wie die Menschen, die sich vorher nicht gekannt haben, miteinander umgehen. Mir fällt auf, wie spontan ein Gemeinschaftsgefüge entsteht, in dem alle miteinander zusammen arbeiten, etwa wenn das Essen ausgegeben wird, oder wenn wir unser schmutziges Geschirr abwaschen. (Wobei ich dazu sagen muss, dass ich es bisher noch nicht geschafft habe, das zu tun, weil immer, wenn ich an der großen Spüle im Freien stand, kam jemand, und nahm mir meine Sachen aus der Hand.)

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